Im Jahr 2071 düsen Kopfgeldjäger auf der Suche nach satten Belohnungen durch den Weltraum
Rezension von Christopher Diekhaus – 19.11.2021, 06:30Uhr
Bereits 2008 tauchten erste Berichte auf, wonach sich ein auf der beliebten Anime-Serie „Cowboy Bebop“ basierender Realfilm in einem frühen Entwicklungsstadium befände. Eine der Hauptrollen in dem englischsprachigen Projekt sollte kein Geringerer als „Matrix“-Star Keanu Reeves übernehmen. Und auch einige kreative Köpfe der japanischen Produktion wären, das wurde bekräftigt, in die Entstehung involviert. Probleme mit dem Budget verzögerten in der Folge jedoch einen möglichen Drehbeginn. Und so wurde es nach und nach still um die aus Hollywood heraus gelenkte Adaption. Anstelle einer Leinwandarbeit mit echten Schauspielern schickt Streaming-Riese Netflix nun eine zehn Folgen umfassende Live-Action-Serie ins Rennen, die trotz Beteiligung diverser Ursprungsmacher von Sunrise Inc. alles andere als überzeugend aus den Startlöchern kommt.
Gerade für Zuschauer, die nicht mit der auch von Kritikern gefeierten Anime-Vorlage vertraut sind, dürfte der Einstieg etwas ernüchternd sein. Statt uns die Story-Welt, die von den Menschen offenbar seit einiger Zeit besiedelte Galaxie, behutsam näherzubringen, werden wir ohne Erklärungen in einen Casinoüberfall hineingeschleudert, der zwei Hauptfiguren in Aktion zeigt: die zusammenarbeitenden Kopfgeldjäger Spike Spiegel (John Cho) und Jet Black (Mustafa Shakir).
Warum die Erdenbewohner inzwischen alle möglichen Planeten kolonisiert haben und ob ihr eigentlicher Lebensraum unbewohnbar geworden ist, erfahren wir, zumindest in den beiden Auftaktepisoden, nicht. Was aber sofort ins Auge sticht: Obwohl die Serie im Jahr 2071 spielt, erstrahlt sie vielerorts in einem markanten Retro-Look. Der Science-Fiction-Aspekt verbindet sich – im Titel kündigt sich das schon an – immer wieder mit Westernelementen. Der Hallodri Spike und der verantwortungsbewusstere Jet werden wegen ihres Jobs auch als Cowboys bezeichnet. Und in Kapitel eins gibt es aus auf dem Himmelkörper New Tijuana eine Bar-Szene, die an einen klassischen Saloon-Moment erinnert.
Das saubere, edle, aufgeräumte, oft an die Apple-Optik angelehnte Design, das viele Sci-Fi-Filme Hollywoods dominiert, hat in der Netflix-Serie keinen Platz. Mit ihrer eher düsteren, häufig altmodischen, angestaubten und benutzt wirkenden Ausstattung setzt die Anime-Adaption einen reizvollen Kontrapunkt. Beispielhaft ist das Black gehörende Raumschiff namens Bebop, dessen Armaturen unübersichtlich gestaltet und mit allerlei dicken Knöpfen und schweren Hebeln versehen sind.
Jenseits der Old-School-Ästhetik bekommt man allerdings nur ein diffuses Gefühl für das Weltraumsetting. Agenten eines ominösen Syndikats tauchen auf. Der in diesem eine wichtige Position einnehmende Vicious (sieht mit blondierter Langhaarfrisur etwas albern aus: Alex Hassell) betritt die Bildfläche. Und im Hintergrund sind kleine Hinweise auf Konflikte im Planetensystem zu erhaschen, etwa die an eine Wand gekritzelte Parole Free Titan!
Ein Worldbuilding, das den Betrachter gnadenlos in das Geschehen hineinzieht, gelingt Showrunner André Nemec („Life on Mars“) und seinen Mitstreitern jedoch nicht.
Sich mitreißen zu lassen, fällt auch deshalb schwer, weil die mit Noir-Anklängen (Femme fatale!) angereicherte Geschichte nach zwei Folgen noch nicht genügend Eigenständigkeit entwickelt und keine wirklich aufregenden Wendungen nimmt. „Kann das wirklich so einfach sein?“, fragen sich die Protagonisten an einer Stelle betont selbstironisch. Sofort möchte man ihnen zurufen: Sollte es aus Spannungsgründen nicht! Spikes Vergangenheit wird ihn, das bahnt sich schon an, noch in Bedrängnis bringen. In den Schatten lauern finstere Kräfte. Und eine durch schmalzig anmutende Rückblenden angerissene backstory wound soll für eine emotionale Grundierung sorgen. Die Jagd der beiden Kopfgeldjäger nach einem kriminellen Paar in der ersten Episode und die Hatz auf einen Bombenleger im zweiten Kapitel zeichnen sich aber in erster Linie durch das frotzelnde Geplänkel zwischen Spiegel und seinem beruflichen Partner aus.
Vorbild scheint hier die lässige Beiläufigkeit eines Quentin Tarantino zu sein. In „Cowboy Bebop“ wirken viele Schlagabtausche aber schlichtweg zu bemüht, egal, wie sehr die verspielte Jazz-Musik auch Lockerheit zu suggerieren versucht. Die meisten Witze sind erschreckend flach und/oder zu leicht durchschaubar. Welches Gag-Niveau die Serie häufig bloß erreicht, verdeutlicht eine Szene, in der die ebenfalls als bounty hunter arbeitende Faye Valentine (Daniella Pineda) in Jets Raumschiff ein Passwort für den Zentralcomputer benötigt und flugs einen unübersehbaren Klebezettel mit der Lösung findet. Haha, selten so gelacht! Mit Blick auf die junge, auf rebellisch getrimmte Frau lässt sich übrigens konstatieren, dass sie noch nicht geschmeidig in die Handlung integriert ist. Nach ihrem Auftreten in der Auftaktepisode fällt sie im Anschluss erst einmal wieder aus der Handlung raus.
Für das gewisse Etwas sorgen – bislang – auch die Actionmomente nicht, da die Nahkämpfe zum Teil ein wenig hüftsteif inszeniert sind. Was man dem mittlerweile fast 70-jährigen Liam Neeson durchgehen lassen würde, kann man in diesem Fall nicht einfach abnicken. Ein bisschen mehr Dynamik und ein paar Überraschungen täten wahrlich Not. Bewusst wird einem, wie spärlich ideenreich die Fight-Passagen in „Cowboy Bebop“ geraten, im Angesicht einer Prügelei auf einer Kirchentoilette, die eine ähnliche, allerdings brillant choreografierte Sequenz in „Mission: Impossible – Fallout“ ins Gedächtnis ruft. Was die digitalen Effekte anbelangt, liefert die Serie wenigstens solide Arbeit ab. Wer bahnbrechende Weltraumbilder sehen will, kommt jedoch nicht auf seine Kosten. Dass sich im weiteren Verlauf alles zum Besseren wendet, die Geschichte Fahrt aufnimmt, die Figuren reizvolle Facetten erhalten und der Humor raffinierter wird, hofft man inständig. Ernsthaft glauben mag man daran aber nicht.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden von insgesamt zehn Folgen der Serie „Cowboy Bebop“.
Meine Wertung: 2/5
Die Serie „Cowboy Bebop“ ist ab dem 19. November 2021 bei Netflix verfügbar.
Über den Autor
Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.
Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance